Manchmal träumt Angelica Bauer, dass ihr Sohn noch lebt. Dann wacht sie auf und nimmt den Rosenkranz in die Hände. Früher redete sie sich ein, Ruben habe sein Gedächtnis verloren und sei nach Europa gezogen, ohne zu wissen, wer er ist. Wenn sie auf der Straße einem blonden Mann begegnete, verfolgte sie den Fremden, in der Hoffnung, er könne Ruben sein. Vor zehn Jahren haben diese Vorstellungen aufgehört. Seitdem betet sie nur noch. Dafür, dass jemand die Leiche ihres Sohnes findet. Dann wüsste sie wenigstens, wo er ist, könnte ihn beerdigen.

Ruben Bauer ist tot. Er verschwand am 16. Juni 1977, wahrscheinlich starb er am selben Tag. Seine Mutter weiß das, nur begreifen kann sie es nicht.

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Im Zuge der ersten Gerichtsprozesse erfährt Angelica Bauer, dass die Mutter von Sebastian Rosenfeld im selben Folterlager saß wie ihre Schwiegertochter, in der Marineschule ESMA. Das Gebäude liegt nur einen Kilometer vom Fußballstadion in Buenos Aires entfernt, die Häftlinge konnten während der Weltmeisterschaft den Torjubel hören. Angelica Bauer weiß jetzt, dass Ruben und Susana wahrscheinlich schon 1977 getötet wurden. Dass man alle Leichen verbrannt, ins Meer geworfen oder in Massengräbern verscharrt hat.

Die Eltern von Sebastian Rosenfeld bleiben für immer verschwunden. Auch Ruben und Susana werden nie gefunden.

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I met Angelica Bauer in a little Argentinian village, because I wanted to do very long report for the German weekly Rheinischer Merkur. My research was off to an interesting start. I lived in Córdoba, in a big city far away from Angelica, and so I had to undertake a 12-hours-bus trip to visit her. When I asked on the phone if she knew of a hotel near her, she protested: "I have a house and I'm alone. Of course you stay with me!" Then she told me her story all night long. We sat at the kitchen table first, later on my bed. Angelica was one of the mothers from “la Plaza de Mayo” (Madres de Plaza de Mayo) ( 1 ). In the very first moment I met this incredible strong, kind, open women I knew what we are missing most in Germany: The courage to show our vulnerability. I will never forget the invisible bond between women in South American Countries and me. I never felt being in danger travelling alone, I always felt protected by women I suddenly met somewhere: in the bus, in a restaurant, on the streets or in a shop.

( 1 )
Madres de Plaza de Mayo ("Mothers of the Square of the May Revolution") is an organization of Argentine women whose children disappeared under the military dictatorship from 1976 to 1983 under initially unexplained circumstances. It is one of the most important human rights organizations in Argentina.